PvP - Eine bessere Welt
Der Rollenspielmodus ödete mich mehr und mehr an - mein erster Spielcharakter stand unfertig in der Wüste herum, als ich vor lauter Langeweile ins "Grab der altehrwürdigen Könige" lief. Ein PvP Bereich im Turniermodus, in dem man Achtergruppen zusammenstellt und versucht, sich durch die Konkurrenz zu schnetzeln. Ich wurde mit lauter kryptischen Begriffen konfrontiert. Als ich nachfragte, fing ich mir viel Spott und Häme ein. "ey du noob, geh cs spielen." Trotzdem ließ ich mich nicht entmutigen und lud mich hartnäckig in sämtliche Gruppen ein, die herumstanden, was mich nicht unbedingt beliebter machte. "ey du kacknoob lass die blinds" Was waren "blinds"? Und was waren "noobs"? Ich beobachtete das Gebiet und fing an Leute einzuladen, die nutzlos durch die Gegend liefen. Als ich acht Leute zusammen hatte, drückte ich auf "Betreten". Die ersten verließen die Gruppe, ein Teil fragte nach "TS" und ich stand da und hatte keine Ahnung. Wir wurden in 40 Sekunden weggeputzt. Mein PvP-Dasein bestand darin im Distrikt herumzustehen und nach Gruppen zu suchen. Vielleicht sollte ich mir die Prestigerüstung holen um kompetenter auszusehen. Leider konnte ich mir nur das Oberteil leisten, aber keiner nahm mich mit. Ich war deprimiert und ratlos.
TS?
Eines Nachts hatte ich Glück. Es standen so wenig Spieler herum, dass eine gute Gruppe gewillt war, mir eine Chance zu geben. "Hi. Kannste Mesmer?". Ich war ganz aufgeregt "Ja, hab PvE damit durchgespielt" "Hm. Ok. wir nehmen dich trotzdem mit. 134.56.54.2:6787." Eine IP-Adresse - die 4 Oktetten mit Zahlen die kleiner als 2^8 waren und der Doppelpunkt, der die Portadressierung abtrennte waren ein eindeutiges Indiz dafür; aber was sollte ich damit? Ich beschloss, die Sache aus zu sitzen. "boh. komm ts!" Ok, ich war aufgeflogen, Verstellen nutzte nichts mehr "ts?". "Sag bloß du hast kein Team Speak" "ähm. ja" "hast du ein glück das so spät is man. lads dir runter" Zum Glück war das Programm selbsterklärend, ein Hoch auf Software-Normen. Ich betrat den Channel und horchte: "Da ist er ja der Noob. Sollen wir den wirklich mitnehmen?" Ich war eingeschüchtert. "Ähhhhm. Hallo?"
Stille. Schweigen. "... und im Stimmbruch ist er auch noch nicht...." "Hahaha, vielleicht is ist er ja auch ein Mädchen!" Ich warf kleinlaut ein: "Ja, ähm, ich bin ein Mädchen.", "Ja klar, dann kannst du ja gleich vorbeikommen und mir einen ****** wär mal wieder nötig. Hahaha." Wochenlang angestauter Frust bahnte sich in mir den Weg. Diese arroganten Spieler, die mich konsequent ignoriert hatten, machten sich jetzt noch über mich lustig. "Das glaub ich dir du ***** ! Keine normale Frau würde deinen verkümmerten Gamer***** auch nur angucken! Du ver******* *******! " Betretenes Schweigen, gefolgt von einer verlegenen Bemerkung: "Ups. Du bist ja wirklich ein Mädchen." Bei allen Jungs setzte eine 540° Wendung ein; Hackordnung klarmachen war vergessen, denn auf einmal waren alle ganz nett und zuvorkommend. Paarung und Balz, das war nun die Devise.
Weil ich ein Mädchen bin!
Die vier Sekunden Gekeife hatten mir den Weg ins PvP geebnet. Am nächsten Tag wurde ich direkt in diverse Gruppen eingeladen und man entschuldigte sich artig für die verbalen Entgleisungen. In keimfreier deutscher Sprache besprachen die Spieler ihre Builds und erklärten mir geduldig einige Grundlagen des PvPs. Meine Freundesliste füllte sich, und die Tage, die ich bettelnd im Distrikt 1 Deutsch herumstand, waren vorbei. Es hat schon Vorzüge weiblich zu sein - man bekommt sozusagen "Vorschusslorbeeren" und muss nicht erst durch spielerische Fähigkeiten auffallen. Hat man die Eintrittskarte gelöst, bleiben einem Mädchen zwei Möglichkeiten: 1. Gut spielen 2. Flirten. Beides dient dem Zweck, die Jungs bei Laune zu halten. Ich versuchte Weg Nummer eins einzuschlagen und schaltete in den emotionalen Teflonmodus; Flirtversuche perlten an mir ab wie Wasser; sowieso müßig, da ich seit 4,5 Jahren einen festen Freund hatte.
Ein Mädchen, das Computerspiele spielt, scheint die Phantasie der Jungs zu beflügeln, sie wirkt auf seltsame Weise attraktiv. Meine Schwester, die ebenfalls Elektrotechnik studiert, bezeichnet dieses Phänomen gerne als den "Einsamen-Insel-Effekt", bedeutet: Mädchen, die unter normalen Umständen nicht einmal wahrgenommen worden wären, erscheinen in extremer Umgebung auf einmal in einem ganz anderen Licht. Ich glaube, ein Großteil der Spielerinnen kennt und genießt diesen Effekt, auch wenn sie es niemals zugeben würden. Wenn ein Mann dieses Gefühl nachvollziehen möchte, gibt es viele Möglichkeiten, je nach Alter. Man kann sich zum Beispiel in eine Sozialpädagogik-Vorlesung setzen oder Tupper-Partys veranstalten.
Mikrokosmos "Deutsch Dis 1"
Es gibt verschiedene Modi, mit denen Mädchen im PvP-Distrikt begrüßt werden:
1. "Huhuuuuu :o) Pheruuuuuuuuuuuuus aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa
KNudeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeee lllllz
:-))))))) *durchdenganzendis knuddeeeeeeeeeeellllundfreuz* ;-)))) "
2. "Hi Pherusa"
Ich möchte Modus 1 nicht abwerten, es ist Geschmackssache; für den einen ist es eine Art der freundlichen Begrüßung, für mich ist es infantile Verniedlichung. Ich machte meinem Umfeld diskret klar, dass ich den sachlichen Modus 2 bevorzugte, indem ich Informationen in Form von Modus 1 gänzlich ignorierte. Die Leute wollten mich trotzdem gerne dabei haben, jemand fragte mich sogar, ob ich gerne News und Artikel für MMOG-Welten schreiben möchte. Schreiben? Da bin ich dabei. Es muss sich wohl wie ein Lauffeuer beim Guild Wars-Team verbreitet haben: Eine neue Stafflerin! Die musste doch glatt angetestet werden, also hatte ich eines Tages drei neugierige Mitglieder der MMOG-Welten Gilde vor mir stehen, die Zerstreuung von langweiligen Gildenkämpfen suchten. "Hiho, magste Gruppe bauen?" Ich suchte noch 4 weitere Leute, indem ich sie einfach einlud, eine seltsame Vorliebe von mir. Meistens sind die Gruppen unterirdisch schlecht, aber Abwechslung und hoher Unterhaltungswert entschädigen mich dafür. Schon nach dem ersten Spiel wurde mir klar, die drei müssen echt gute Spieler sein, denn die vier anderen und ich waren mal wieder kompromisslos unfähig; trotzdem gewannen wir ein Spiel nach dem anderen. Was ich nicht wusste: die drei gehörten zu der damals besten europäischen Gilde. Woher denn auch? Ich hatte genug damit zu tun mich im Turniermodus zu tummeln.
Random PUG
Am nächsten Tag flüsterte mich einer der drei Spieler wieder an und fragte mich, ob ich ihn mit in meine Gruppen nehmen würde. "Du spielst doch gut genug, müsstest du nicht Gruppen für mich suchen?" "Schon, aber ich habe bisher nur Gildenkämpfe gespielt ^ ^" Er wurde nur widerwillig mitgenommen, denn wenn ich ihn einschleusen musste, wie schlecht musste der arme Junge dann sein? Nun profitierte auch er von meinem Geschlecht - ich konnte ihn inkognito in "Tombs"-Gruppen[1] unterbringen. Nach fast jedem Spiel hingen wir stundenlang in irgendwelchen Teamspeak-Channels herum und quatschten; dabei stellten wir fest: wir wohnten in derselben Gegend, studierten etwas Ähnliches und waren etwa gleich alt. Ideal, um "mal einen Trinken" zu gehen. Erstes Treffen: Eine schlecht belüftete LAN-Party mit lauter E-Technikern und Pizza in der Uni, aber mit einem nicht zu verachtenden Vorteil: Freibier.
Da war es wieder. Sobald ich online kam, wurde ich freudig begrüßt, nur diesmal war es mir nicht lästig. Die Gilde, die er gegründet hatte, hatte sich inzwischen aufgelöst, der Großteil hatte aufgehört, weil Guild Wars ihnen zu langweilig wurde [2] , zwei hatten zu den "Esos" [3] gewechselt und er selbst trieb sich mit mir in (schlechten) Tombs-Gruppen herum.
Irgendwann bildete sich eine feste Gruppe halbwegs fähiger Spieler, und aus dieser Gruppe wurde eine Gilde. Der Vorteil von Gilden: Man kann statt monotonem 8vs8-Geschnetzel die taktisch reizvolleren Gildenkämpfe spielen. "Tombs" fand ich inzwischen so spannend und abwechslungsreich wie die Zeitansage, denn man traf entweder auf IWAY, E-Drain-Migraine-Builds oder IWAY. In den deutschen Distrikt kam ich also nur noch sporadisch auf einen gepflegten Flame vorbei.
[1] Tombs: 8vs8-PvP-Modus, Aufstieg der Helden, ehemals Grab der altehrwürdigen Könige
[2] Damals musste man als Top20-Gilde noch 30 Minuten auf einen Kampf warten und selbst dann war es oft nur eine <1000 Gilde. Das Suchsystem war nicht wirklich pralle...
[3] Esoteric Warriors, derzeit beste europäische Gilde
Muss ich rosa Rüstung tragen?
Geflame ist böses Jungs-Zeug? Nicht wirklich. Es gibt einen Unterschied zwischen bloßen Beleidigungen und stilvollem Flame. Flame ist die Weiterführung des PvP-Geschnetzels in Worten. Aber nirgendwo merkt man den Unterschied zwischen Jungs und Mädels so deutlich wie beim Flamen. Da hat man sich einen Gegner heraus gepickt und kurz sondiert, will zum ersten Schlagabtausch ansetzen, da wirft sich auch schon ein Ritter in weißer Rüstung in den lokalen Chat. "Lass die Pherusa in Ruhe!" Und schon ist das Thema des Flames festgelegt, es wird die nächsten zehn Minuten auf meiner Geschlechtszugehörigkeit herumgehackt und das Niveau sackt ab auf obszöne Beleidigungen. Wie soll man unter solchen Bedingungen seine rhetorischen Fähigkeiten auf Trab halten? Ja, ich bekenne mich, ich flame gern, ich bin ein böser Mensch und nachdem ich den Artikel hier zu Ende geschrieben habe, gehe ich zu meinen Freunden in die Crack-Höhle um die Ecke und verzocke meine Mutter beim Pokern.
Müssen Mädchen immer lieb sein und spielen deshalb selten Krieger? Ich glaube nicht; es ist jedenfalls nicht humaner seinen Gegner in Brand zu setzen. Wenn man vorne steht, ist man meist auch derjenige, der den Angriff koordinieren muss, und das trauen sich viele Mädchen vielleicht nicht zu, oder haben einfach keinen Bock darauf. Der Grund, weshalb ich nie Krieger gespielt habe: keine Maus. Ich bin durch Klavier und Kommandozeile an Tasten gewöhnt, es hat also nichts damit zu tun, dass ich friedlicher bin als ein Junge.
Wie meine Spielfigur aussieht, ist mir relativ egal, wird eh fast jeden Tag gelöscht und neu erstellt. Welche Rüstung sie trägt, hängt vom Einsatzbereich ab, denn an dem Spiel Guild Wars reizt mich der Wettbewerb und das Teamplay, und nicht die langweiligen Parallelwelten voller Ersatzegos. Ich spiele Guild Wars gerne, weil der Erfolg direkt von den Fähigkeiten und dem taktischem Verständnis des Teams abhängt und nicht davon, wie viel Zeit seines Lebens man auf Farmen und Leveln verschwendet hat. Wenn ich Spiele ohne Anspruch, Strategie und Taktik spielen möchte, kaufe ich mir Sims 2 (oder World of Warcraft).
r0m4nt1c
Aber mehr zu meiner Gilde: wenn man sich fast täglich in den Ohren hängt und sich im Teamspeak anschreit ("Maaaan Pherusaaaa! Meine Omma hat besseres Stellungsspiel als du!"), kommt einem der Gedanke, sich auch mal im Reallife zu treffen. Unsere Gilde versammelte sich also für ein paar Tage um folgendes zu tun: Trinken und Ausnüchtern. Was ich damals noch nicht bemerkt hatte: mein guter Gildenkollege war verliebt.
Nun werden sich viele an den Kopf packen - eine Internet-Bekanntschaft? Klappt doch nur in schlechten Liebesfilmen oder in der Werbung von Flirtportalen. In-Game Liebe? Voll schlecht! Ist es ja auch. Ich finde es ebenfalls absonderlich, sich in einen Haufen Polygone zu verlieben, ingame zu flirten und zu heiraten, obwohl man keinen Schimmer von der Person dahinter hat. Flirten ist real tausendmal komplizierter, Gildenrang, Ruhmpunkte und Prestigerüstung sind dort so wichtig wie Lip-Gloss im Dschungel, und selbst die schwierigsten Quests sind Kindergarten im Vergleich zu folgender Frage: "Kaffee oder Kino?" Und was ist ein Boss-Mob im Vergleich zu einer vierjährigen Beziehung, in der die Angebetete steckt?
Ob es an meinem Teflonmodus lag oder er einfach nicht flirten konnte, darüber streiten wir uns noch heute. Immerhin hat es gute vier Monate gedauert, bis ich seine Avancen überhaupt wahrgenommen habe. Im Nachhinein wird es selbst mir klar, wenn ich auf die stundenlangen Teamspeak-Sessions zurückblicke, oder die Marathon-Gespräche bei Starbuck's Coffee, denn welcher Gamer setzt sich freiwillig zum Quatschen in ein Café, probiert freiwillig Jelly Beans und Orange-Chili-Trüffel? Aber er war sehr tapfer, es hat mich wirklich beeindruckt, dass er an meinen kulinarischen Experimenten teilgenommen hat. Die weiteren Details würden, wie jedes Beziehungsgewirr, viele Seiten füllen. Über den weiteren Verlauf hülle ich den Schleier des Schweigens und präsentiere euch das Endergebnis: Eine glückliche Gamer-Beziehung.
Aber was wäre passiert, wenn er mich einfach nach einer In-Game Hochzeit gefragt hätte, anstatt mich im Reallife zu bearbeiten? Ganz einfach: ich hätte ihm geschrieben, dass ich mich mächtig in ihm getäuscht hätte, ihn zu einem grenzdebilen MMOG-Gefühlskrüppel erklärt und ins Datennirvana geschickt. (Mal abgesehen davon, dass ich mich arg gewundert hätte, wie ein eingefleischter PvP-Spieler auf so eine Idee kommt.) Ingame-Liebe ist ein Akt der Selbstverblendung - Gefühle gehören ins Reallife!
Fazit
So viel Text und kein Fazit. Ihr könnt euch ein Fazit aussuchen.
1. Das versöhnliche Fazit
Es gibt viele Mysterien zwischen Jungs und Mädels, ohne die unser Zusammenleben doch ganz schön öde wäre. Zum Beispiel: wofür haben Männer Brustwarzen? Ich denke, Gamer und Gaming Girls sind sich ähnlicher als man glaubt.
2. Der Fingerzeig
Und die Moral von der Geschicht, mit Gefühlen spielt man nicht!
Doch der einzig sinnvolle Ratschlag, den ich euch geben kann ist folgender:
Wenn euch das ganze Mädchen-Jungs-Gewusel auf den Senkel geht, legt euch einfach ins Bett und dreht der Welt den Hintern zu.
Ende
(Du hast bis hierhin durchgehalten. Glückwunsch.)
Quelle: Onlinewelten.com