Mimei blinzelte mehrmals hinter ihren langen schwarzen Haaren und versuchte die Müdigkeit wieder abzuschütteln, die sie wohl dem dritten Becher Wein an diesem Abend zu verdanken hatte. Als wäre es nicht schon genug gewesen, einmal mehr einen erfolglosen Tag hinter sich gebracht zu haben, an dem es ihr nicht gelungen war, einen geeigneten Kontakt herzustellen - nein - nun saß sie auch noch mit einer völlig Fremden am Tisch. Fremde bedeuteten immer Ärger.
Sie hob ihren vierten Becher an die Lippen, trank und lies dann ein tiefes Seufzen vernehmen. Wenn sie weiterhin diese Last auf ihren Schultern zu tragen hatte, würde sie noch als Säuferin enden. Was hatte sie der großen Schlange angetan, ihr diesen Haufen seltsamer Gestalten aufzuhalsen, der sie nun als ihre Anführerin sah? Sie war eine Jägerin, frei und in der Wildnis zuhause. Stattdessen saß sie nun seit fast zwei Wochen in dieser riesigen Stadt fest, um Händler zu finden, die Materialien besorgen könnten, welche für den Wiederaufbau des Dorfes benötigt wurden. Aber soviel Granit konnte selbst hier niemand besorgen, zumindest nicht zu einem Preis, wie ihn die kleine Gruppe trotz des Schatzes zu zahlen bereit war. Der Schatz... damit könnte sie ganz andere Dinge tun und eigentlich wollte sie auch garkeine Bürgermeisterin sein...
Ein gut vernehmliches Räuspern riss sie aus ihren Gedanken.
"Hm?", hob die dunkelhäutige Frau den Blick aus der Leere, in die sie lange gestarrt hatte, und sah zu der anderen hinüber.
"Ich sagte, guten Abend"
Die Jägerin zog die Augenbrauen zusammen und funkelte die Fremde an.
"Guten Abend und gute Nacht."
Schnell setze sie wieder ihren Becher an die Lippen, als deutliches Zeichen, dass sie die Unterhaltung wieder als beendet betrachtete.
"Seid Ihr aus der Stadt, aus Khemi?"
Mimei fuhr mit dem Kopf herum und funkelte die offensichtlich lebensmüde Nervensäge mit ihren bernsteinfarbenen Augen an.
Vor ihr saß eine Frau in dunkler Rüstung, die offenbar schon viele Kämpfe über sich hatte ergehen lassen. Dies galt ebenfalls für das Gesicht der Frau, welches von einer langen Narbe am linken Mundwinkel hinab verunziert wurde. Davon abgesehen war es ein durchaus ansehnliches Gesicht mit feinen Zügen, jedoch verliehen ihm erste dünne Linien auf der Stirn einen harten Ausdruck. Auch die Frau hatte Augen wie Bernstein, wenn auch dunkler als Mimei und allgemein kam ihr dieses Gesicht seltsam bekannt vor. Ihre Haut jedoch war viel zu hell, als dass sie eine Stygierin hätte sein können.
"Hör mir gut zu, ich bin nicht hier, um mich nett zu unterhalten."
Sprach die Stygierin mit stark betontem südlichen Akzent. Offenbar wollte sie es ihrem Gegenüber in keinster Weise leicht machen.
"Ich bin nicht hier, um mich zu unterhalten. Zum einen nächtige ich hier im Haus, zum anderen bin ich auf der Suche im Süden und hatte gehofft, Ihr könntet mir einen Rat geben."
Die fremde Kriegerin blieb die Ruhe selbst und rang sich sogar ein höfliches Lächeln ab.
"Dann rate ich dir, suche nicht im Süden. Deine Sorte hat hier nämlich nichts zu suchen und wird daher nur den Tod in Sets Schoss finden."
Das Lächeln der anderen verschwand nicht aus ihrem Gesicht.
"Der Tod ist mein ständiger Begleiter, ich fürchte ihn nicht. Ihr kommt doch aus dem Süden, das sehe ich an Eurer Haut und höre es an Eurem Akzent?"
Mimei knurrte leise, die andere lies sich einfach nicht aus der verfluchten Ruhe bringen und offenbar schon garnicht von einem Gespräch abhalten.
"Aye, komme ich."
"Kennt Ihr denn auch die Länder jenseits von Khopshef im Urwald des Südens?"
Die Jägerin nickte. Daraufhin hob die andere neugierig die Augenbrauen, beugte sich ein kleinwenig über den Tisch vor und zeigte zum ersten Mal eine echte Gefühlsregung.
"Wirklich? Bei allen Göttern!"