Religion, Glaube, Spiritualität
Ein Leser meines Blogs fragte mich, ob ich etwas über die ursprünglich schottische „Destinys Church“ in Erfahrung bringen und darüber schreiben könnte. Ich nehme den Schreibanlass dazu auf, um grundsätzlich ein paar Gedanken über (meine) Religion, den Glauben und die Spiritualität zu machen.
Es ist nicht so einfach zu formulieren, woran man wirklich glaubt, wenn man wie ich, Skeptiker ist. Ein Skeptiker ist zwar offiziell religiös, aber eigentlich zweifelt er. Er ist sich nicht sicher, woran er glauben sollte: an die Bibel, an Gott, an Heiligkeit oder Nichtheiligkeit, an Wundertaten, Geschichten, Gottesdienste, Messen etc. Goethe war auch Skeptiker und die Frage nachdem Glauben eines Menschen wird immer mit der sogenannten „Gretchenfrage“ in seinem Drama „Faust“ verbunden sein. Die Gretchenfrage ist nichts anderes als die Aufforderung, Farbe zu bekennen, die Wahrheit wirklich auszusprechen. Der Teufel versteckt sich im „Faust“ in einem Pudel, daher das andere berühmte Wort, „des Pudels Kern“, wo sich das Böse verhüllt oder maskiert zeigt, des Pudels Kern ist also ebenfalls die ungeschönte Wahrheit. Insofern kann man sagen, dass bei vielen Menschen ihr Glaube oder Unglaube oder Atheismus verhüllt oder maskiert ist. Das Böse hingegen, ist nicht immer offensichtlich zu erkennen. Die Schlange im Paradies war der Anfang, des Pudels Kern eine literarische Aufarbeitung.
Über die eigene Religiosität wird inzwischen verhaltener gesprochen als über die eigene Sexualität. Sie bietet beinahe mehr Angriffsfläche, könnte man meinen. Man fühlt sich nackter, wenn man sich über seinen Gottesglauben äussern muss als wenn man über seinen Sex redet. Die Gretchenfrage: „…wie hältst du es mit der Religion?“ wird im „Faust“ bekanntlich nicht beantwortet. Bevor ich diese Frage zu erörtern versuche, will ich kurz meinen spirituellen Werdegang erzählen.
Ich bin eigentlich Römisch-Katholisch (RK) und gedenke es auch zu bleiben. Als Kind war ich ein guter Religionsschüler und wurde freiwillig Ministrant. Zwei katholische Internate habe ich besucht: Das „Institute Catholique“ in Neuenburg und die Stiftsschule Engelberg. Letztere war besonders einprägsam, obwohl ich ein miserabler Ehemaliger bin, da ich an keine Klassenfeste oder sonstigen Anlässe des Klosters mehr gehe. Ich bin der Schule dankbar, und diese Dankbarkeit sichert der Kirche meine Loyalität. Beim Wort „katholisch“ dreht sich schon vielen den Magen um, aber die ganze Miesmacherei der Kirche ist unnötig. Historisch gesehen sind viele Dinge, die man ihr anzukreiden versucht schlicht aus der Luft gegriffen und als Historiker ist man auch dazu aufgefordert, die Sachverhalte möglichst objektiv zu erfassen, obwohl das selbst gestandenen Professoren gelegentlich mehr als schwerfällt.
Meine wahre Kirche indes ist und bleibt die sogenannte Altkatholische oder Christkatholische Kirche. Diese Abspaltung von der RK, entstand durch die Ablehnung der sogenannten „Unfehlbarkeitserklärung“ des Pontifikats, also des Papstes im Jahre 1870. Der Rest bleibt gleich, das heisst die Dreifaltigkeit (Vater, Sohn, Hl. Geist) und Verehrung Marias als Gottesmutter (nicht aber die Lehre der „Unbeflecktheit“) im Gegensatz zu den Reformierten. Die Christkatholiken haben also den entscheidenden Vorteil von Rom unabhängig zu sein. Das macht sie flexibler, moderner und an eine säkulare Gesellschaft angepasster. Diese Gruppierung kennt auch die Frauenordination, das heisst Frauen als Pfarrerinnen oder gar als Bischöfinnen, die Strukturen der Kirche sind schon fast demokratisch. Dennoch schafft sie es nicht, auf Kosten der RK oder anderen grösser zu werden. Im Gegenteil, sie schrumpft wie die anderen Landeskirchen auch.
Das Schrumpfen von Kirchenmitgliedern hat übrigens eine Tradition, die seit langem anhält. Schon vor dem Zweiten Weltkrieg verloren die Kirchen massenhaft Schäfchen, egal ob Römisch Katholisch oder Evangelisch. Dies hat mehrere Gründe, die in der Moderne anzusiedeln sind: Kommunismus und Sozialismus waren die Erzfeinde der Kirchen und wurden entsprechend bekämpft. Karl Marx, der Erfinder des Kommunismus sagte: „Religion ist Opium für das Volk“, und damit meinte er, dass durch die geistige und auch gesellschaftliche Macht der Kirche, die tieferen „Klassen“ der Bevölkerung von der oberen Schicht unterdrückt werden. Als Ersatz für ein halbwegs anständiges Leben in der Gegenwart wird die Hoffnung auf ein besseres Dasein im Paradies angeboten. Über die moralischen Werte waltet die Kirche, und die führenden Mitglieder dieser Kirche werden wiederum von der Oberschicht gestellt (die Zweit- und Drittgeborenen Söhne). In der Sowjetunion und ihren Satelliten in Osteuropa war Religion und Glaube entweder verboten und oder verpönt. Darum hiessen die Jahreszahlen dort nicht „nach Christus“ sondern „nach unserer Zeitrechnung“.
Die Nationalsozialisten versuchten mehrmals, auch die Kirchen für ihre Ziele einschwören und bei den Lutherischen hatten sie dabei durchaus Erfolg, weit weniger aber bei den Katholiken. Sie versuchten neben dem christlichen Wertekanon einen eigenen auf die Beine zu stellen. Der Krieg und das Nachkriegsende bescherten den Kirchen nur kurz einen kleinen Zulauf, wenig später nahmen die Kirchenaustritte wieder zu. Wenn es den Leuten schlecht geht, gehen sie deswegen noch lange nicht in die Kirche, nur um dieses Vorurteil einmal wissenschaftlich zu widerlegen.
Natürlich befasste ich mich auch, so weit es ging, auch mit dem Buddhismus, der sich nicht erst seit dem Dalai Lama regen Zulaufs erfreut. Dass dem so ist, erstaunt wenig, denn im Endeffekt ist in dieser Religion keine Strafe für Sünden aller Art vorgesehen. Das Universum verhält sich lediglich im Yin-Yang Prinzip, das heisst, dass alles, was man tut, eine Auswirkung hat, die früher oder später ihren Effekt haben wird. Dieses Thema des „Ganzheitlichen“ kommt ursprünglich vom sogenannten Taoismus, welcher grossen Einfluss auf die Religion von Buddha hatte. Im Endeffekt gibt es also keine Hölle oder Himmel als Resultat des hiesigen Lebens, sondern lediglich Wiedergeburt, und dies so lange, bis man erleuchtet wird. Eine Person, die weder ans Paradies noch ans Inferno geglaubt hat, muss nicht unbedingt daran glauben, dass er nach seinem Tod als Huhn oder Schwein sein Leben fristet: zurück bleibt lediglich das Leben ohne festen Strafenkatalog.
Der Koran ist beinahe das pure Gegentei von Bibel und Buddhismusl: es ist ein Gesetzbuch, das beinahe ohne jegliche Metaphysik auskommt, das heisst ohne Wundertaten oder sonstigen Phantastereien. Der Islam hat einen enormen, gnadenlosen, absoluten und ausschliesslichen Allmachtsanspruch. Während Jesus noch die Nächstenliebe predigte, die Vergebung und die Sünde der Welt auf seine Schultern nahm, entledigte sich der Prophet Mohammed schlicht seiner Gegner, auf ganz weltliche Art. Der Koran scheint aber auch ästhetisch eine sehr grosse Ausstrahlung zu haben, weshalb er auf arabisch sprechende Leute tatsächlich eine wirklich göttliche Aura hat.
Für mich ist keine der drei Weltreligionen und das Judentum wirklich komplett welterklärend oder massgebend für die gesamte Erdbevölkerung. Jede dieser Glaubensrichtungen hat seine Gefährlichkeit hinlänglich bewiesen, aber natürlich genauso ihre Tauglichkeit. Im Endeffekt ist jeglicher Glaube genau das, was er in seiner Zeit ausgelegt wird. Und somit komme ich wieder zur „Destinys Church“ zurück.
Ich war zeitweise bei einer anderen Freikirche dabei, dem ICF, „International Christian Fellowship“. Diese hat ihre Wurzeln im konservativen Amerika und versucht mit modernen Mitteln den Glauben den Menschen näherzubringen. Die Leute kommen zusammen und feiern eine Art traditionelle Messe mit Predigt, Beten und Singen. Natürlich heisst predigen „preachen“ und beten „worshipen“, die Musik hat Beat, so etwas kommt vor allem beim jugendlichen Publikum gut an. Dennoch kann nicht jeder predigen, der auch sprechen kann. Das können nur speziell ausgebildete Leute, genau wie bei der Destinys, wo es Priesterseminare gibt. Ergo läuft es darauf hinaus, dass es jemand besser weiss als „du und ich“. Wir können zwar auch lesen, aber wir können scheinbar nicht die Wahrheit dahinter sehen. Hier liegt die Macht nicht im Vatikan, sondern bei den Hinterleuten, welche die Priester ausbilden. Mir wurde die Sache gelegentlich etwas Ungeheuer, wenn von Verzicht auf Sex vor der Ehe die Rede war, aber brüsk gesagt, genauso normal rumgepoppt wurde, wie anderswo auch. Es gibt eben den frommen Wunsch und die Natur, die man bändigen kann oder nicht kann, will oder nicht will. Ebenso lässt es sich als Überdreissiger schnell mal Keuschheit fordern, wenn man alles schon gehabt hat oder immer noch hat. Der Papst hat in seiner Ansprache vor Dreissigtausend Jugendlichen dasselbe formuliert, in dem er sagte: „Euch wird es an Nichts fehlen (in der Ehe)“.
Die Ablehnung von Homosexualität in Freikirchen wird von den Medien etwas hochgeschaukelt. Dass es Schwule und Lesben halt einfach gibt, hat man auch in den Freikirchen zur Kenntnis genommen. Natürlich sind die Leute hin- und hergerissen, heisst es doch in der Bibel (wie auch im Koran), dass die Homosexuellen geköpft werden müssen. Zum Glück gibt es Jesus, der sowieso die Sünde der Welt auf seine Schultern nimmt und im neuen Testament auch den Sündern verzeiht. Die Sünde der Welt ist übrigens die Erbsünde, die seit Adam und Evas Verrat von Eltern an Kindern weitergegeben wird. Als Strafe haben Frauen ihre Periode und die Geburtsschmerzen. Von Geburt auf wären wir also Sünder, ohne Jesus. Schon im Mittelalter hat man sich gefragt, warum eine Welt so schlecht sein kann, wenn Gott dennoch allmächtig ist. Einige Gelehrte meinten, dass das eben Prüfungen des Herrn seien, andere, dass der Teufel dahinter steckte, und wieder andere glaubten, dass alles Gottes Wille ist, auch wenn es nur schlecht aussieht oder verboten ist. Alles ist eine Sache der Auslegung, so auch die Homosexualität und die Frage, warum es sie überhaupt gibt.
Freikirchen funktionieren übrigens auch auf dem Prinzip der Ausschliesslichkeit, das kann dazu führen, dass Leute, die sich nicht zu dieser oder jener Freikirche bekehren, diese auch zu verlassen haben oder nicht in den festen Kreis gelangen. Auch nach fast 2000 Jahren Christentum, bleibt das Grundprinzip der Religion als Identitätsstifterin des ICH, WIR und SIE dieselbe. Dennoch wäre es unfair, die Leute von den Freikirchen in irgendeiner Art schlechtzureden oder lächerlich zu machen. Im ICF fanden sich ganz viele Menschen, die charakterlich 1A waren und sind. Es war eine schöne Erfahrung, obwohl mich einige Strukturen dennoch ziemlichs stutzig gemacht haben.
Das konsequente Verfolgen der Zehn Gebote würde viele Probleme aus der Welt schaffen, aber bei einem Drittel der Menschheit, welche diese Gebote befolgen würde, würden zwei andere Drittel, diese Gebote nicht einmal anerkennen. Aus der Sicht des Vatikans ist es logisch, Kondome in Afrika zu verbieten, denn für sie gibt es ausserehelichen Sex nicht. Im Grunde ist es auch nicht die Kirche, die Schuld an HIV in Afrika ist, sondern die Vielweiberei, die zurückgeht auf alte Bräuche und Riten. Ausserdem ist der Norden Afrikas muslimisch, der Rest ist aufgeteilt unter Baptisten (englische Kolonien), Lutheranern (deutsche Kolonien), Katholiken etc. Natürlich wäre sehr geholfen, wenn die Kirche sich nicht gegen Kondome verweigern würde, aber die Probleme des Kontinents wären damit nicht gelöst. Im Gegenteil, wenn ich katholisch bleibe, so bin ich der Meinung, dass sehr viele gute Taten immer noch durch die Kirchen geschehen: Entwicklungshilfe, Suppenküchen, Kleidersammlungen etc. Der moderne Säkulare Staat kann vieles, doch kann er nicht Leben erklären, Lebensweisen, Weisheiten und die vielen kleinen und grossen Wunder, die jeden Tag geschehen.
Die Wissenschaft kann viele Wunder Dekonstruieren, sie erklären, und man weiss dann, dass es kein Wunder war, sondern leider nur ein physischer oder biologischer Zufall oder Effekt. Dennoch sind immer noch viele Menschen nicht bereit zu glauben, dass alles bloss eine Laune der Zufälligkeiten oder Gesetzen der Natur ist. Manchmal sitzt man nur da und fragt sich, ob nicht doch ein Geist hinter den Dingen ist, die Geschehen, ob nicht doch eine höhere Macht die Welt regiert. Ich habe schon öfters Dinge so entschieden, wie sie Jesus entschieden hätte. Entscheidungsunsicherheit kann lähmen, aber Glauben kann da durchaus mit guten Resultaten nachhelfen. Die Bibel ist mehr als nur ein lächerliches altes Buch, und es geht nun gar nicht darum, zu frömmeln, sondern darum, sich das ganze einmal kritisch anzuschauen. Unsere Seh- und Bilderkultur baut darauf auf, unsere Erzählkultur, unsere Symbole, Riten und Bräuche, und seien diese noch so verwaschen, vermischt mit der noch älteren keltischen oder römischen Kultur. Es ist dennoch ein Irrtum, wenn manche Menschen glauben, sie stünden Gott näher als andere, das erzählt schon nur die Geschichte vom verlorenen Sohn. Es gibt lediglich die Behauptung, dass es bessere Christen gibt als zum Beispiel mich. Aber warum sollte mich das stören, wenn ich weiss, dass andere, frommere, Leute nicht bevorzugt werden?
"You see things; and you say why? But I dream things that never were; and I say why not."
G.B.Shaw