Die Akte Sarrazin wird grösser und grösser. Heute erhalten wir die Nachricht, dass die Bundesbank den unliebsamen SPD'ler chassen möchte, braucht dazu lediglich noch ein Abnicken des Bundespräsidenten. Ich wollte zuerst sein Buch lesen, bevor ich mich dazu äussern wollte, den älteren Bericht im "Lettre" habe ich glaub ich gelesen, vielleicht auszugsweise, ich weiss es nicht genau.
Ich halte mich für eine Mischung aus konservativ und liberal, links und rechts, tendenziell eher rechts wenn es um Ausländerpolitik, Integrationsprobleme, Fragen der Sozialhilfe und Arbeitslosen, Kriminalität und anderes geht. Ich würde mich als Linken bezeichnen wenn es sich um Ausbildung, Schulbildung und soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit handelt. Da noch jedes Problem von Staat und Gesellschaft sehr facettenreich ist, mal die eine mal die andere Haltung von Vorteil wäre, ist es schwer für mich, wenn ich mich da komplett festlege. Tendenziell ist es meistens so, dass rechte und linke Überzeugungstäter einen in die eine oder andere Ecke schubsen, sobald sobald man anderer Meinung ist als sie.
Thilo Sarrazin, hat in meinen Augen Recht und doch auch Unrecht. Er hat den Finger auf schwelende Wunden der Gesellschaft gelegt, die tatsächlich wahrgenommen werden, tatsächliche Probleme versursachen und zutieftst unfair und ungerecht sind. Ich stelle fest, dass sehr viele Bundesbürger, ein Grossteil wahrscheinlich, die Hauptaussagen von Sarrazin bejahen und ihm zustimmen. Eines möchte ich hier feststellen: die Religion selber ist nicht der Auslöser für die Integrationsprobleme und die soziale Verelendung und Abhängigkeit vom Staat. Es spielt keine Rolle ob es sich um arme Iren (USA), Polen (Deutschland/Österreich/USA), Italiener (USA/Europa), Katholiken oder Protestanten, Muslims oder Orthodoxe handelt. Hauptfaktor für schlechte Integration, Alkoholismus, häusliche Gewalt, Sozialabhängigkeit, Verelendung, schlechte Bildung etc. war und ist noch immer schlicht und einfach ARMUT. Die Phänomene sind weltweit die gleichen und waren immer die Gleichen. Klar sind Vietnamesen besser Integriert - sie waren auch viel früher da, profitierten vom echten Flüchtlingsstatus oder von willkommener Aufnahme durch die DDR. Natürlich hatten sie wahrscheinlich auch weniger Familiennachzug, weil die Familie tot oder die Grenzen geschlossen waren. Die Religiösen Vorgaben und Zwänge waren zudem viel lascher als etwa bei strengeren monotheistischen Religionen, zudem kamen sie aus einer Reisanbauerkultur mit Hang zum Handel (Gladwell beschreibt die Reisanbauerkultur in Outliers recht gut). Kurz: Wer auch immer nach Deutschland kam, hat einen komplett anderen Hintergrund mit seinen Vor- und Nachteilen. Wer aus dem bergigen Teil Anatoliens kommt hat möglicherweise noch einiges von der Kultur der Ehre in sich, bevor sich die Mentalität in der zweiten oder dritten Generation der hiesigen anpasst.
Im Endeffekt passen sich alle an, es dauert jedoch unterschiedlich lang, weil die Vorbedingungen total unterschiedlich sind. Es hat nichts mit dem IQ zu tun, der sich bekannterweise so gut wie gar nicht messen lässt, auch wenn es immer wieder behauptet wird. Tatsächlich sind 90% der Tätigkeiten locker vom Durchschnitts IQ zu bewältigen, und wer so klug ist, von einem unterentwickelten Land in ein hochentwickeltes zu emigrieren oder fliehen, der kann so dumm ja nicht sein. Alle Amerikaner, Kanadier, Australier wären strohdumm, aber das ist auch ein Klischee das sehr gerne verwendet wird, das Eurozentrististische Weltbild lässt grüssen. Low IQ kommt nach Deutschland und tut sich hier vermehren, das hört sich als Provokation gut an, aber zum glück nur Provokation, wobei diese ja auch wieder nicht dienlich ist, sie schafft nur Wut und Hass. Deutschland importiert tatsächlich Armut, genauso wie es die meisten Einwanderungsländer tun, aber eigentlich war das ursprünglich so gewollt: man braucht billige Arbeitskräfte.
Warum passen sich Muslime schlechter an? Sieht man sich Muslime an, die schon Jahrzehnte lang hier sind, fällt einem auf, wie gut sie integriert sind, gelegentlich fällt einem so etwas schon gar nicht mehr auf. Wahrscheinlich ist die Zahl derer, die im letzten Jahrzehnt hinzugekommen sind kritisch gestiegen, so dass der ursprüngliche Integrationsrhythmus nicht mehr funktioniert. Logischerweise suchen sich mittellose Einwanderer zuerst einmal Communities, mit denen sie sich gut verständigen können und landen dadurch in den entsprechenden (ärmeren) Vierteln. Dadurch ergibt sich eine Kumulation der Probleme, die durch Armut geprägt sind und fehlendem Kontakt zum Durchschnittsdeutschen. Ausserdem hat sich die wirtschaftliche Entwicklung verändert, weshalb es schwieriger wurde der Armutsschicht zu entkommen. Es entstehen ernsthafte Integrationsprobleme, die verstärkt wird durch vermehrt ablehnende Haltung der übrigen Gesellschaft. Was dann bleibt ist die Flucht in Ehrenkodex und strenger Religion.
Je ärmer die muslimischen Länder sind, desto rigider sind sie, scheint es, mit Ausnahme vielleicht von Saudi Arabien, wobei wir ja immer nur die schlechten Nachrichten erhalten und keine Sau weiss, wie es sich dort tatsächlich lebt (so viele Saudis gibts ja auch gar nicht). Auch mit der Scharia lässt sich sehr gut leben, genauso wie der Kommunismus in China, Vietnam und Kuba funktioniert: Papiergesetz und Alltag sind komplett verschiedene Dinge. Logischerweise ist Steinigung und Ähnliches menschenverachtende Scheisse, vor allem auch weils immer die Schwächsten trifft. Ich will auch nicht ausschliessen, dass der Islam nicht tatsächlich ein bisschen schuldig ist, wenn sich die Leute besonders schlecht integrieren und dass die Produktivität der islamischen Herkunftsländer ein eher düsteres Bild abgibt (ich kann eine Gesellschaft nicht verstehen, die Frauen zwar den ganzen Haushalt schmeissen, aber sonst nicht produktiv tätig werden lässt.
Dennoch läuft bei Sarrazin viel über das "Wir" gegen "Sie". Und wem ist geholfen, wenn den armen Teufeln auch noch die 350 Euro pro Kopf gestrichen oder vermindert werden? Fakt ist, dass die Leute nichts haben, nichts zu verlieren haben und leider oft auch nichts zu gewinnen. Der Anteil der Armen steigt unvermindert und könnte so kritische Massen erreichen. Irgend ein Balkan Kid hierzulande in der Schweiz hat vielleicht zwei Jahre lang ein Provinznest verunsichert, zusammen mit zwei bis drei gleichgesinnten. Durch eine grossangelegte journalistische Aktion hat man den Kerl inzwischen in eine Anstalt gebracht. Tatsäche ist aber, und das betrifft auch die Idioten, die Dominik Brunner getötet haben: die Typen haben nichts und sind nichts, und Zukunft haben sie keine grosse vor sich. Kommt hinzu, dass nicht jeder für die Schule begabt genug ist. Hätte ich keine wohlhabenden Eltern, ich wär weiss Gott wo gelandet. Der Schulstoff ist veraltet und sehr oft unnütz, liegt nicht jedem, und den Jungs meistens weniger als den Mädels. An den Schulen an denen ich unterrichtete, waren Jungs immer total untervertreten: eine sehr negative Entwicklung!
In meinen Augen braucht es für solche Typen das Jesusprinzip, auch wenn es nicht sehr populär ist derzeit: statt sie für ihre Taten ein Leben lang abzustrafen, muss man den Leuten eine Perspektive bieten, auch wenn es was kostet. Erst wenn sie etwas zu verlieren haben, ändern sie die Leute, werden vorsichtiger, vorausschauender. Ein vom Staat bezahltes Crashkürslein reicht nicht aus. Man stelle sich vor, was einem ohne Zukunft passiert, wenn er plötzlich die Chance hat zu arbeiten (eine Arbeit, für die er sich auch interessiert nota bene), sich aus- und weiterbilden zu lassen, eine eigene Wohnung hat und einen halbwegs akzeptablen fahrbaren Untersatz. Dieser Typ wird nicht so dumm sein, das alles aufs Spiel zu setzen. Wahrscheinlicher ist, dass er nach ein paar Jahren genauso Steuern zahlen wird, wie die anderen auch. So kriegt der Staat sein Geld wieder rein. Hätte ich das Geld für eine Stiftung, die so etwas kann, dann würde ich es der Welt beweisen.
In zehn Jahren, wird ein guter Teil der konservativen Wählerschaft aus Türken bestehen. Linke Parteien erhoffen sich oft einen Wählerzufluss in dem sie ihre Politikagenden so anpassen, dass sie der Immigrationswählerschaft gefallen könnte, oft auch mit etwas allzu blauäugigen Forderungen und oft in dem sie Dinge akzeptieren, die nun leider Unakzeptabel für diese Gesellschaft sind. Wenn der Staat gibt, darf er auch etwas verlangen. Wenn der Staat knausert, kriegt er genau das, was er verdient - egal ob Aus- oder Inländer. Nein, sobald der Grossteil der Deutschland-Türken auf dem Mittelstandsniveau angekommen ist, dann wird er möglicherweise konservativer als man sich erahnen könnte. Dann nämlich haben sich diese Leute mit Fleiss nach oben gearbeitet, sind stolz auf das Erreichte und erwarten das von anderen Zuwanderern genauso.
Sarrazin ist wichtig für die Grundsatzdiskussion. Er hat Mut, ist direkt, hat Einsichten gewonnen - aber er ist auch unverschämt und er irrt in gewissen Dingen. So einfach ist das. Es ist immerhin gut, dass wir einmal richtig Tacheles reden.
"You see things; and you say why? But I dream things that never were; and I say why not."
G.B.Shaw