Die Sonne schien hoch über den Dächern, der sogenannten schönsten Barockstadt der Schweiz. Mein MP3 spinnte, aber es reichte, die Melodie von "
Won't give in" zu hören. Meine schnellen Schritte verlangsamten sich, und ich dachte an den Videoclip dieses unglaublich schönen Songs.
Meine Gedanken waren bei ihr, meine Gefühle, meine Traurigkeit noch tief in mir drin. Ich fühlte mich plötzlich in einer Stopmotion Sequenz.
Da war dieses Mädchen, dass an einer Backsteinhäuserwand einer heruntergekommenen Seitenstrasse lehnt. Das Standbein und die rechte Schulter und der Kopf geben ihm halt. Die Kamera zoomt näher. Die weissen Turnschuhe, der Mantel und der gestreifte Pullover zeigen eine jugendliche Schülerin. Die Farben deuten auf einen Graufilter hin, in dieser Einstellung findet sich nichts buntes. Die Stimmung ist ganz trist, das Wetter schlecht: es regnet nicht, aber der Boden ist noch nass. Die Kamera ist im Winkel des Gehsteigs und des stehenden Mädchens. Sie zoomt sich näher und endet in einer seitlichen Frontale des Gesichts. Der Kopf des Mädchens ist an die Wand angelehnt, die Augen schauen ins Leere nach vorn. Die Lippen sind leicht geschminkt, das krause Haar fällt schulterlang herab. Die Zeit scheint stehengeblieben. Die Kamera bewegt sich nicht mehr und nur der sanfte Wind im Haar und ein Augenaufschlagen des Mädchens deutet an, dass die Zeit nicht wirklich stehengeblieben ist. Es macht noch mal einen Augenaufschlag und schluckt mit den geschlossenen Lippen. Sie scheint starr, gedankenversunken, bedrückt, was man am schlucken mit geschlossenen Lippen noch einmal genauer sehen kann.
Danach folgt im selben Grau, die Aufnahme der beiden Musiker Neil und Tim Finn. Durch dieses Bild wird dem Zuschauer gezeigt, dass es sich um ein Musikclip der Finn-Brothers handelt. Sie scheinen den Song direkt vor dem Zuschauer zu spielen.
"You call me up and I'll say a few words
But I'll try not to speak too long
Please to be kind and I'll try to explain
I'll probably get it all wrong."
Die Kamera fährt nach links und man kommt von rechts in die nächste Einstellung. Wir sehen in dieser den Esstisch einer Familie in einem modern eingerichteten Haus. Der Vater links, die Mutter in der Mitte und rechts ein Kind am gemeinsamen Esstisch. Die nächste Einstellung folgt sogleich, ohne dass man durch einen Zoom erfahren hat, wer genau die Personen dieser Familie waren und was sie wollten. Stattdessen findet man sich plötzlich an einem Ort der Öffentlichkeit wieder, in einem Schwimmbad. Die Personen schwimmen aber nicht, sie stehen still aufrecht im Wasser. Nur das lichtreflektierende Wasser zeigt an, dass die Zeit nicht stehengeblieben ist, nur die Menschen scheinen passiv verwurzelt zu sein.
"What does it mean when you promise someone
That no matter how hard or whatever may come"
Die nächste Einstellung zeigt einen Turmspringer von hinten, scheinbar ebenfalls in einem öffentlichen Schwimmbad, der auf dem Zehnmeterbrett steht. Die Kamera scheint ihm folgen zu wollen bleibt hinter seinem Rücken stehen.
Was meint es? Was meinen die verschiedenen Kameraeinstellungen, die verschiedenen Bilder? Die Musiker geben die Antwort als Refrain:
"It means that I won't give in, won't give in, won't give in
'Cause everyone I love is here. The at once disappear."
Nach dem Refrain wird folgt im selben Schema die nächste Folge von Bildern.
"Once in a while I return to the fold
With people I call my own
Even if time is just a flicker of light
And we all have to die alone"
Die Kamera dreht sich kunstvoll um ein stehendes Paar in einer Wartehalle. Auch diese Zwei, ganz in Schwarz sind erstarrt. Der junge Mann blickt die Frau an, sie schaut in eine andere Richtung. Folgt der Zuschauer dem Blick der Frau so gerät er mit der Kamera in die nächste Einstellung, welche eine junge Asiatin, ebenfalls in einer Wartehalle, zeigt. Auch diese Frau hat ihre Hände in die Manteltasche gelegt, schaut ebenfalls gedankenverloren ins Leere, die einzige Bewegung ist die ihres Augenaufschlags. Sie steht zwischen einer stehenden Ansammlung kaum wahrnehmbarer Menschen, doch der Zoom der Kamera bewegt sich. Die blonde Frau mit dem weissen Pullover im Hintergrund fällt als Kontrast dazu auf. Sie erscheint als Anchor in der Totale des Warteraums, der sich nun als Bahnstation entpuppt.
Vom öffentlichen Raum in den Raum der Natur. Die nächste Einstellung zeigt einen Läufer in einem roten Trikot. Doch auch der Läufer steht starr. Sein drahtig muskulöses Gesicht ringt nach Atem. Er scheint etwas verneinen zu wollen, ist angespannt. Ein anderer Mann blickt starr in die Leere und man erkennt, dass es der Mann ist der vorangegangenen Einstellung ist, der vom Esstisch der Familie. Die Frau, die man nun sieht, ist seine Frau. Ihr Blick ist gerichtet, nach rechts, während die Kamera langsam nach rechts schwenkt, bis sie das Kind im Bild hat. Es ist ein Mächen, welches mit der rechten den Löffel in der Hand hält, der noch im Teller ist und seinen Kopf mit der linken aufstützt. Es scheint ebenfalls gedankenversunken zu sein, das suggeriert die Pose. Das es sich um eine Frühstücksszene handelt wird durch den Teller des Kindes angedeutet, da Gabel und Messer fehlen und durch den Tee des Mannes bestätigt, den er in der Hand hält aber nicht trinkt. Was meinen diese Bilder nun weiter? Der Refrain gibt wieder antwort:
"What does it mean when you belong to someone
When you're born with a name, when you carry it on?"
"It means that I won't give in, won't give in, won't give in
'Cause everyone I love is here
All at once, and I'll show you how to get here!"
Die nächste Einstellung beginnt mit einer Totale eines Geschäftshauses. "Cause everyone I love is here." Das ist der Widerspruch des Bildes zur Musik. Es ist ein öffentlicher Raum, wo alle anonym stehen. Die Kamera zoomt näher und zeigt den ebenfalls verlorenen Blick einer Einzelperson, dieses mal eine junge Frau. Wieder stehen alle Personen still.
Ein Busfahrer scheint abzuwarten. Er ist bereits fortgeschrittenen Alters. Würdig schaut er in die Ferne, seine Hände sind fest am Steuerrad des Buses. Sie scheinen sich noch fester am Steuerrad festhalten zu wollen.
"Come on now, come on now, can you feel it, I can see it in ya
Come on now, come on now, reveal it, turn around won't ya
The right time, the right place, right now, turn around."
Die Aufforderung zum Kommen wird nun immer stärker suggeriert, im Lied herausgefordert. Doch noch steht der Springer auf dem Turm. Noch bewegt er sich nicht als die Kamera sich nah an seinen Rücken heranzoomt.
"A chance is made, a chance is lost, I carry myself to the edge of the earth."
"It means that I won't give in, won't give in, won't give in"
Und nun springt der Turmspringer, man sieht nur die Füsse zum Sprung ansetzen, aber man weiss, dass er es ist. Das Mädchen schliesst ein letztes mal die Augen legt die Kapuze an und geht dann ihren Weg weiter. Man sieht den Springer ins Wasser eintauchen.
"Cause everyone I love is here
Say it once, just say it, and disappear"
Der Vater am Esstisch bewegt den Daumen spielerisch auf seinem Tee. Er lächelt liebevoll in die Richtung seiner Liebsten, schliesst die Augen dabei. Mit dem Refraintakt bewegen sich auch die nackten Füsse des Mädchens am Tisch. Der Busfahrer schaut auf die Anzeige, die Geschäftsfrau macht sich auf, überall bewegen sich die Menschen wieder. Die Frau, die vorher noch in die Leer schaute, guckt nun zu ihrem Partner und lächelt, sagt ihm, dass es weiter geht. Der Bus fährt nun, man muss nicht sehen, dass der Bus angefahren wurde. Dass er fährt ist Aussage genug. Alles Bewegt sich wieder alle Personen bewegen sich nun. Dies sogar im Zeitraffer.
Genauso fühlte ich mich auch. Ich spürte den Ruck, das Vorwärtstreiben. Die Kraft, die einen pusht, die Zeit die nicht lockerlässt: "I won't give in."