Die Wellen hämmerten gegen den Schiffsrumpf, der sich in tiefster Nacht durch sie zu drängen versuchte. Wie Spielzeug hoben sie das schwere Boot, warfen es von einer Seite auf die andere und schüttelten seine Besatzung durch. Doch es kenterte nicht, kam nicht einmal weit vom Kurs ab. Sein Kapitän war ein hervorragender Seemann, dessen Heimat die großen Gewässer schon seit seiner Kindheit waren, und seine Erfahrung überstieg die der meisten Seefahrer bei weitem. Er kannte das Meer und wusste auch in diesem Sturm, wie er den Kampf mit den Wellen zu meistern hatte. Seine Besatzung wusste das. Die gut hundert Männer vertrauten seinem Geschick und verließen sich darauf, dass er sie heil durch das Unwetter führen würde. Die meisten von ihnen begleiteten den Kapitän seit vielen Jahren und hätten ihm in jeder Situation blind vertraut, auch, wenn es um ihr Leben ginge.
Nur eine Person an Bord hatte Zweifel. Große Zweifel, die auf dem besten Wege waren, sich in nackte Panik zu verwandeln. Das Leben dieser Person hing unmittelbar von den Geschicken des Seemannes ab, doch sie kannte ihn nur flüchtig und wusste nichts von seinem Können. Es war ein Mädchen südlicher, stygischer Herkunft, ihre dunkle Haut und das schmale Gesicht verrieten dies auch unaufmerksamen Beobachtern auf der Stelle. Sie sah klein und hilflos aus, wie sie tief im Bauch des Schiffes auf ihrer Schlafstätte aus Fellen kauerte, bekleidet mit nichts weiter als einem Lendenschurz, und sich krampfhaft bemühte, nicht gegen die Kisten und Fässer geworfen zu werden, die um sie herum aufgebaut waren. Und doch ließ sich abschätzen, dass sie in den meisten anderen Situationen keineswegs hilflos gewesen wäre. Unter ihrer Haut zeichneten sich Muskeln ab, die Bewegungen ihrer Arme und Beine verrieten eine Kraft, wie sie nur durch regen Gebrauch entstanden sein konnte. Das Mädchen war einmal eine Jägerin gewesen, eine Abenteurerin. Sie hatte unvorstellbare Fußmärsche durch unwegsames Gelände unternommen, sich leise, wie ein Raubtier an ebensolche angepirscht und diese mit wenig mehr als Messern und einem Bogen erlegt. Sie hatte dem Tod mehrfach ins Antlitz geblickt und doch immer wieder überlebt, wenn auch manchmal nur durch großes Glück.
Doch nun schien sich ihr Leben dem Ende zu nähern, ohne, dass sie etwas dagegen zu tun vermochte. Sie war mit einer List zum Reisen gezwungen worden. Jetzt saß sie auf diesem Schiff fest und ihre Zeit lief ab. Einige schreckliche Vorfälle hatte sie vor kurzem erleben müssen, an deren Ende sie sich in der Sklaverei wieder fand. Nachdem ein Händler sie wochenlang in einen Käfig gesperrt und auf einem Marktplatz in einem Piratenhafen ausgestellt hatte, kaufte sie völlig unerwartet ein Landsmann, ein Stygier. Nach anfänglichem Misstrauen war sie zunehmend erleichtert. Er ging gut mit ihr um, schien saubere Arbeit für sie zu haben und brachte sie in die nahe Taverne, wo sie sich stärken durfte. Doch der Hunger trübte ihren Verstand und so entging ihr, was ihr neuer Herr sogleich offenbarte: Er hatte ihre Mahlzeit vergiftet. Im Anschluss gab er ihr den Auftrag, eine Sendung in das ferne Tarantia zu bringen, wo sie bei der Übergabe das Gegenmittel erhalten sollte. Ihr Leben hing davon ab, rechtzeitig die aquilonische Hauptstadt zu erreichen. Weigerte sie sich, war ihr der Tod sicher, so hatte sie keine Wahl, als sich zu fügen. Doch der verfluchte Sturm mochte nun alles zunichte machen.
Mit einem eisigen Gefühl der Angst im Bauch und dem Schmerz des Heimwehs zugleich, dachte sie an ihre Heimat, die Küste Stygiens, das Dorf, ihre Verwandten und Freunde, welche zusammengenommen ihr Leben bedeutet hatten. Ihr war klar, dass sie manche nicht wieder sehen würde, selbst, wenn sie überleben sollte. Von der Nacht, als sie entführt und in die Sklaverrei verkauft wurde, wusste sie nicht mehr viel, doch die wenigen Erinnerungen waren voll von Grauen und Leid, Brandschatzens und Mordes.
Mit einem Würgen übergab sie sich. Sie hoffte, dass die Übelkeit vom endlosen Schaukeln herrührte. Wenn die Wirkung des Gifts bereits einsetzte, war sie verloren. Doch sie verspürte einen neuen Antrieb. Sie würde überleben, sie musste überleben! Um Rache üben zu können für die Verschleppten und Ermordeten, und um zu den Verbliebenen zurückzukehren.
Sie hatte keinen Schimmer, wie sie es anstellen würde. Doch sie schwor sich, sie würde zurückkehren!
OOC
Mein Char befindet sich, wie aus dem Text hervorgeht, im RP noch nicht beim Clan, wird aber, so es sich im Rollenspiel nicht entgegen meines Drängens entwickeln sollte, in naher Zukunft dazustoßen.