Von einem Moment auf den Anderen wechselte das gleichbleibende völlige Schwarz hinter ihren Augenlidern zu einem Rot. Hell, fast grell nach den Stunden, Tagen, schon Immer? in der Dunkelheit, entflammte die Leuchte über der metallenen Liege auf der sie unbeweglich, starr lag, unfähig die Lider zu öffnen, die Finger zu bewegen oder auch nur zu zucken.
Bald war es wieder so weit, dann würde sie sich bewegen, gesteuert, unfähig ihr Entsetzen in Worte zu fassen, den Sprechen war ihr nicht vergönnt.
Ruckartig öffnete sie die Augen, das grelle Licht brannte wie mit Nadeln, doch schließen konnte sie sie nicht, dem Licht nicht entgehen, das ihr unbarmherzig ins Gesicht schien. Unbeholfen, mit abgehackten Bewegungen setzte sie sich auf, das Licht verschwand aus ihrem maskenhaften, starren Gesicht, träge, schwer drehte sie sich auf ihrem mageren Po, die Beine baumelten über den Rand der Liege, rutschten hinab, bis die Füße auf den Boden kamen. Wie unter mühen stellte sie sich auf, schwankend, dann erste Schritte, mit denen sie taumelnd und unbeholfen zu der Tür vor ihr wankte. Ihr Arm streckte sich aus, ihr Hand griff die Klinke und sie ging, stolperte hinaus. Hinaus, neuem Entsetzen entgegen, Gast in ihrem eigenen Leib, keine ihrer eigenen Bewegungen selber steuernd.
* * *
Nintja mußte niesen, einmal, zweimal, dreimal, erst dann war das schreckliche Kribbeln das die weißen, leichten Pollen der Palemkoblüten in ihrer Nase hervorriefen vorbei. Mit ihren großen, leuchtenden Augen schaute sie voller Bewunderung auf die blinkenden bunten Lichter des Gnadenbaumes, auf die vielen bunten Päckchen, Kartons und Schachteln die unter ihm lagen, für jedes Kind mehr als nur eins.
Die Huldvollen zeigten sich dieses Jahr besonders großherzig, und alle waren angehalten ihnen Dankbar zu sein, und Nintja wußte, das die Huldvollen dies auch verdient hatten. Jeden Tag, vor dem Frühstück und vor dem Abendbrot, sprachen sie mit den Servitorbildnern die Gebete, ehrten die Huldvollen die ihre schützende Hand über sie hielten, selbstlos und voller Güte.
Servitorbildner Akarn kam mit zwei großen Schachteln zu ihr, sein etwas steifes Gesicht, das so sehr dem ihren und der anderen Kinder ähnelte und doch so anders war, die silbrige Haut die sich beim sprechen nur langsam bewegte, als würde sie härter, zäher sein als ihre, glänzte in den Lichtern des Gnadenbaumes.
Zu einem Lächeln verzogen schaute er sie an, reichte ihr die Schachteln herüber: „Danke den Huldvollen, Nintja, danke ihnen und freue dich ihrer Gnade.“
Mit diesen Worten durfte Nintja die Geschenke entgegen nehmen, vor Aufregung zitternd stellte sie sie vor sich ab, dann öffnete sie vorsichtig die Erste. Gleich ein ganzer Satz neuer Kleider war dort drinn, ein neuer Rock, eine neue Bluse und ein paar neuer Schuhe, diese mit den weichen Kunststoffsohlen und den weißen Leinen, die, die so bequem und überall zu tragen waren.
Begeistert hielt sie die Bluse an ihren schmalen Oberkörper und drehte sich, einen Ärmel ausstreckend im Kreis, lachte leise, denn lautes Lachen geziehmte sich nicht, die bunten Lichter des Gnadenbaumes funkelten über ihr Gesicht, dann legte sie sorgfältig faltend die Kleider zurück in die Schachtel.
Aufgeregt öffnete sie nun flink die zweite Schachtel, legte den Kopf schräg als sie hinein schaute und grübelte einen Moment über das was sie dort sah. Ein Buch, ähnlich denen, in denen sie immer im Unterricht lasen, eingefasst in eine Folie die als Schutzumschlag diente. Vorsichtig nahm sie das Buch heraus, hielt es vor sich und versuchte den Titel zu entziffern. Nur mühsam konnte sie die Buchstaben ordnen, gehörten sie doch zu der Sprache der Huldvollen, der Sprache, die sie ja erst noch lernen mußte, wenn sie alt genug dafür wäre. Dann begriff sie, es war ein Sprachenbuch, sie war nun alt genug, im nächsten Jahr würde sie die Sprache der Huldvollen lernen dürfen.
Die Schachtel mit den neuen Kleidern unter dem Arm geklemmt, das Buch mit der noch fremden Sprache vor ihre Mädchenbrust gedrückt schaute sie wieder mit leuchtenden Augen auf den Gnadenbaum, dessen Lichter nun noch bunter, fröhlicher zu blinken schienen.
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